Die Auseinandersetzung mit den Problemlagen und Konflikten rund um Land und die gute Nutzung von Land in Städten regt uns dazu an, die Räume, in denen dies stattfindet, neu zu überdenken und das Potenzial zu erkennen, in Städten gemeinsame Orte zu schaffen, an denen das Land bewirtschaftet werden kann, um Nahrungsmittel zu produzieren.
Urbane Landwirtschaft bezeichnet eine Reihe von Praktiken, die darauf abzielen, in einem Umfeld, in dem es immer weniger Grünflächen gibt und dessen Ernährung auf Basis von Produkten der industriellen Landwirtschaft erfolgen soll, Land und Boden in Einklang mit dem Konzept der Ernährungssouveränität zu nutzen. In diesem Sinne zielt die Durchführung eines städtischen Landwirtschaftsprojekts darauf ab, den städtischen Raum durch verschiedene agrarökologische Praktiken, ob kollektiv oder individuell, neu zu gestalten und zu erfinden. Viele dieser Praktiken nutzen Flächen, die als „tote Flächen“ in den Städten oder als nicht geeignet für den Anbau von Nahrungspflanzen gelten.
Diese Neugestaltung städtischer Gebiete und Räume ist einer der Vorteile, die die urbane Landwirtschaft mit sich bringt, denn durch sie werden unter anderem Dächer, Parks, Friedhöfe und Brachflächen zu Orten, an denen das Leben gedeihen kann und die auch zu gemeinschaftlichen Treffpunkten werden.
Initiativen
Verschiedene Gruppen, die der lateinamerikanischen Diaspora in Berlin angehören, haben vor und während der Pandemie eine Reihe von Initiativen des städtischen Gärtnerns durchgeführt.
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Viele der Menschen, die hinter diesen Initiativen stehen, bringen frühere Erfahrungen mit der Bewirtschaftung und Nutzung des Bodens in den Städten mit.
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Andere, die in dieser Stadt leben, haben in letzter Zeit Interesse an diesen Initiativen entwickelt. Auch in den Städten des globalen Südens, insbesondere in den Städten von Abya Yala, gibt es viele Initiativen, Kollektive und Nachbarschaften, die städtische Landwirtschaft oder Gärtnern betreiben. In diesem Abschnitt wollen wir verschiedene kollektive Initiativen
vorstellen, die für den Zugang zu Land sowie für das Recht auf gesunde Ernährung in der Stadt kämpfen.
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Das Interessante an diesen Initiativen sind die unterschiedlichen Motivationen, die verschiedenen politischen und sozialen Kontexte, in denen sie entstanden sind, und die Prozesse, die sie im Laufe der Zeit durchlaufen haben.
Viele unserer Gesprächspartner*innen sprechen davon, wie wichtig es ist, in Zeiten des Todes Leben zu säen und zu pflegen. In Berlin wurden diese Initiativen zu Begegnungsstätten während der Monate der Einschließung und Isolation aufgrund der Corona-Pandemie, so dass die Pflege des Bodens auch eine gemeinschaftliche und nachbarschaftliche Aufgabe wurde.
In Abya Yala lag die Motivation eher in der konkreten Notwendigkeit des Zugangs zu Nahrungsmitteln; oft verbunden mit der Geschichte der erzwungenen Migration vom Land in die Stadt aufgrund von Vertreibung und Enteignung. Andere Initiativen hingegen entstehen im Rahmen sozialer Mobilisierungen.
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Wir werden uns die Aussagen von sechs Personen anhören, von denen vier zur lateinamerikanischen Diaspora in Berlin gehören und zwei aus dem Globalen Süden, konkret aus Bogotá und Santiago de Chile, zu uns sprechen werden.
Die Interviews wurden zwischen September und November 2021 durchgeführt.
Städtische Landwirtschaft und städtisches Gärtnern
Urbane Landwirtschaft ist ein Oberbegriff für verschiedene Praktiken der primären Lebensmittelproduktion in städtischen (urbanen) Ballungsgebieten und deren unmittelbarer Umgebung. Es geht also darum, die Landwirtschaft in die Städte zu holen und so einen Beitrag zur Deckung des Nahrungsmittelbedarfs der Bewohner:innen einer Stadt/Region zu leisten. Der oftmals als Synonym verwendete Begriff Urbanes Gärntnern beschreibt hingegen besser das Bewirtschaften von kleineren Flächen (z.B. einem Balkon, einem Gemeinschaftsgarten), zumeist für den Eigenbedarf als ergänzender Beitrag zur Nahrungsmittelversorgung.